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Smalltalk im Kontext

Ein Impuls weiter gedacht

 

Vor einer langen Weile habe ich mir Gedanken um Smalltalk gemacht. Ich wollte die Erkenntnisse textlich festhalten, aber nach wenigen Zeilen habe ich das Dokument gespeichert und geschlossen. 

Heute holte mich dieses Thema erneut ein. Zum richtigen Zeitpunkt. Wie so vieles. Ich bekam einen Podcastlink geschickt, weil mein Lieblingscomedian mit der Versenderinnen liebsten Paartherapeutin ein Gespräch aufgenommen hat. Ich war auf dem Weg in eines meiner Schreibcafés, doch ich konnte nicht aufhören zu zuhören. Die erste Stunde im Café sass ich da, lachte immer wieder laut drauf los und spulte ab und zu zurück um die zwei Sprechenden in meinem Notizbuch zu zitieren. 

In den letzten fünfzehn Minuten kamen sie auf Smalltalk zu sprechen. Esther Perel und Trevor Noah inspirierten mich diesen Text endlich fertig zu denken. 

 

Heinz de Specht hat es vor 17 Jahren witzig gesungen. „Därf mr das?“ Darf man mit einem Migros-Sack im Coop einkaufen gehen? Im Tram neben jemanden sitzen, wenn alle Sitze vorne frei wären? Darf man von der Pizza, den Rand im Teller liegen lassen? Ich habe fröhlich mitgesungen. Im Refrain dann; ich glaube, das darf man nicht und da halte ich mich auch dran. 

Nun woran halte ich mich heute? Was dürfen wir heute noch? Welche Fragen darf man Fremden noch stellen? 

 

Smalltalk fand ich immer doof. Mich interessiert weniger, ob es dir gut geht, als was dich gerade glücklich macht. Weniger dein Beruf, mehr deine Leidenschaft. Kleiner Exkurs dazu; aus vergessener Quelle habe ich letzthin mitgekriegt, dass bei der Frage ‚Was tust du so in deinem Leben?‘ in der westlichen Welt meist mit der Berufsbezeichnung geantwortet wird, während andere Länder von ihren Hobbys erzählen; eher die Antwort kommen würde: Ich atme. Ach, ich wünschte gerade, ich könnte mich an die exakten Aussagen erinnern. Ich erinnere mich bloss daran, dass man sich in anderen Ländern nicht über den Job definiert. Vielleicht war es auch Trevor Noah. In seinem neuen Comedy-Programm. Könnte gut sein. Und wenn auch nicht; es lohnt es sich anzuschauen. 

 

Esther Perel und Trevor Noah sprechen darüber, dass Smalltalk nur im richtigen Kontext erlaubt ist. Hier ein kleiner Auszug davon:

T.N.: ( … ) Oh, do you often fly this airline? ( …) You don’t seem like a crazy person. If you walk down the street, you say to someone; oh, you walk down this street often? You could look like a psychopath. ( … )

E.P.: It’s a shared reality.

( … )

E.P.: And now we’re in an elevator and we don’t even do this kind of small talk. (talking about the weather) Because that small talk could have be accompanied with the second line ‚where do you get lunch when it rains?‘ ( … ) And we would have begun a whole relationship with this one little line of small talk and we don’t have it. 

 

Bei diesen Worten ging mir ein Licht auf. Ich mag Smalltalk im Sinne des Wortes; kleine Gespräche. Ich mag nur keine gehaltlose Fragen.

Ich war circa 17 Jahre alt, schwänzte ständig die Schule, was sich auch in meinen Noten zeigte. Ich war unglücklich und energielos. Die Jahre davor waren schwierig. So sass ich eines verschlafenen Morgens in einem Zug, den ich sonst nie nutzte. Gegenüber sass mir eine ältere Dame. Wir begannen miteinander zu sprechen (für mich nichts ungewöhnliches) bestimmt beginnend mit oberflächlichen Fragen. Aber schliesslich veränderte sie, in unserer fünfzehn minütigen Zugfahrt, mein Leben. Ich lief energetisiert die letzten Schritte in meine Schule. 

Kurz darauf begann ich wieder zu tanzen, wechselte die Schule, fand zurück zu mir. Diese ältere Dame blieb mir als Schutzengel in Erinnerung; noch heute wenn ich an sie denke, sehe ich sie in hellem Licht. Ich kann mich nicht an unser Gespräch erinnern, ich weiss nicht mehr, was sie mir erzählt hat, wie sie mit ihren Worten, ihrer Existenz mir meine Energie zurück gab. In den darauffolgenden Jahren habe ich immer wieder Ausschau nach ihr gehalten, gehofft sie nochmals zu treffen, um ihr davon zu erzählen. Irgendwann verstand ich jedoch, dass unsere so kurze Beziehung ihre Aufgabe hatte und nicht weitergeführt werden musste. 

 

Solche Begegnungen prägten mein Bedürfnis nach Austausch mit Fremden. Wenn ich also spüre, dass es in einer Interaktion oberflächlich beim Wetter oder der Kenntnis über des anderen Berufs bleibt, ziehe ich mich schnell zurück. Es hält mich aber gleichzeitig nicht davon ab, mit hunderten Menschen in Kontakt zu kommen; mit Menschen, die im Restaurant am Tisch nebenan sitzen, mit Menschen, die mit mir in der Schlange stehen, mit Menschen die im Buchladen eines meiner Lieblingsbücher in den Händen halten, mit Menschen deren Hunde mich auf der Strasse begrüssen. Manchmal entstehen dabei inspirierende Gespräche, manchmal bleibt es bei einem freundlichen Lächeln. Nie habe ich das Gefühl, als Psychopathin wahrgenommen zu werden. 

Die von Esther Perel erwähnte geteilte Realität scheint mir dabei der Schlüssel zu sein. Und wie sie, finde ich es schade, dass nicht einmal mehr diese geteilte Realität zu Interaktionen führt, schlicht, weil man sich dabei in Beziehung mit Fremden begeben müsste. 

Trevor Noah erwähnt später (nach dem vorherig zitierten Auszug ihrer Podcastfolge), dass wir nicht mehr auf diesen sozialen Austausch mit Fremden angewiesen sind, weil wir alles, was wir erleben, sofort mit unseren bereits bewährten Beziehungen teilen können. Anstatt also dem Nebentisch vom vorzüglichen Tiramisu des Restaurants zu erzählen, teilen wir die Empfehlung entweder auf den sozialen Medien oder schreiben unseren FreundInnen von den Erlebnissen. 

 

Nach etlichen Monaten denke ich einen Impuls weiter. Wir möchten unser Leben mit Menschen teilen. Wir sind Herdentiere, soziale Lebewesen. Aber wir begrenzen uns. Trotz Globalisierung begrenzen wir uns. Irgendwie paradox. Heute erfahren wir, wenn in China ein Sack Reis umfällt, aber nicht, was unseren Nachbarn bewegt.

 

‚Därf mr das?‘ Darf man noch Smalltalk führen? Ich habe meine Antwort gefunden. Und unter uns:  Heinz de Specht, seit eurem Lied nehme ich ständig einen Migros-Sack zu Coop mit. Gueti Idee.

RebellInnen braucht die Welt. 

 

 

Empfehlungen und Quellen für diesen Blogartikel:

Songs;

Heinz de Specht - Därf mr das? 

Heinz de Specht - Gueti Idee

 

Podcast;

Esther Perel - Where should we begin? with Esther Perel; Folge ‚Sex, Comedy and Context - A live conversation with Trevor Noah‘

 

Comedy Specials;

Trevor Noah - What now?, auf Netflix

Trevor Noah - alle andern!, auf Netflix oder Youtube