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Ein Brief

- Wenn Sätze mich berühren. - 

 

Ein Brief an Benedict Wells zu seinem Roman „Vom Ende der Einsamkeit“ und weil es keine direkte Mailadresse gab, an die ich diese Zeilen schicken konnte. 

 

Lieber Benedict

 

Meine Wäsche ist seit zwanzig Minuten fertig und aufhängebereit. Zwei meiner ältesten Freundinnen warten seit Stunden darauf, dass ich zum Kaffeetrinken vorbeischaue. Ich habe heute nie an Dein Buch gedacht. Habe vieles erledigt, dass auf meiner To-Do-Liste stand. Endlich. Kurz vor Abfahrt ging ich nochmals in die Waschküche. Noch zehn Minuten bis sie fertig sein würde. Was machte man in zehn Minuten? Ich sah Dein Buch auf meinem Nachttisch. Seit Wochen lag es da. Ich konnte es nie fertig lesen. Keine Zeit, zu müde, oder schlicht nicht in der Stimmung. Denn ich kannte die Geschichte bereits. Ich hatte nur noch 15 Seiten zu lesen. 15 Seiten, die ich lange nicht zu lesen bereit war. Das kannte ich eigentlich nur von meinen Schreibphasen. Kurz vor Ende eines Romans überfielen mich jeweils Schreibblockaden. Es fiel mir schwer Abschied von meinen Figuren zu nehmen. Und wenn ich es dann tat, brach es mir das Herz. Jedes Mal, tief schürfend, aber in Ordnung, so war das halt als Autorin. 

Zehn Minuten also. Ich setzte mich auf mein Sofa und begann zu lesen. Nach wenigen Seiten erwischte mich eine Deiner Zeilen. „Nur dort kann ich alle gleichzeitig sein. Alle, die möglich waren.“ (S. 336) Ich brach in Tränen aus und verstand nicht weshalb. Ich glaube, ich fühlte mich verstanden. Und bis zum Ende des Buches konnte ich nicht mehr aufhören zu weinen. Ich musste schluchzend von Jules Abschied nehmen. 

 

Ich habe beim Lesen von „Vom Ende der Einsamkeit“ etwas getan, das mich selbst überraschte. Ich habe Zeilen angestrichen, die mir besonders gefielen. Irgendwann habe ich mich gefragt, ob das Worte sind, die aus Deinen Tiefen kamen, ob sie dir bis heute in Erinnerung sind. 

„Denn wenn ich redete, dann dachte ich, und wenn ich schrieb, dann fühlte ich.“ (S. 233)

„Vielleicht schreibst du nicht auf Papier, doch in deinem Kopf tust du es.“ (S. 197)

„Du bist nicht schuld an deiner Kindheit und am Tod unserer Eltern. Aber du bist schuld daran, was diese Dinge mit dir machen. Du allein trägst die Verantwortung für dich und dein Leben. Und wenn du nur tust, was du immer getan hast, wirst auch nur bekommen, was du immer bekommen hast.“ (S.185)

„Ich war davon überzeugt, dass man sich zwingen konnte, kreativ zu sein, dass man an seiner Phantasie arbeiten konnte, aber nicht an seinem Willen. Das wahre Talent war der Wille.“ (S. 180)

„( … ) wir schaffen Kunst, lieben, beobachten, leiden, freuen uns und lachen. Wir existieren alle auf millionenfach unterschiedliche Weisen, damit es kein Nichts gibt, und der Preis dafür ist nun mal der Tod.“ (S. 156/7)

„Ich hätte es damals nicht so klar formulieren können, aber in meinem Innern ahnte ich, dass ich vom Weg abgekommen war. Das Problem war nur, dass ich nicht wusste, wann und wo. Ich wusste nicht mal mehr, von welchem Weg.“ (S. 152)

„( … ) wie sehr das Licht der Erinnerung manche Momente zum Leuchten bringt.“ (S. 342)

 

Dass ich Dir schreibe, hat keinen spezifischen Grund. Ich habe mich bloss verstanden gefühlt. In so vielen Deiner Worte. David Foenkinos hat es einst wunderbar ausgedrückt: „Manchmal gibt es Sätze, die so vortrefflich sind, dass man sein Herz an sie verschenkt, ohne dass die Person, die sie ausgesprochen hat, etwas davon mitbekommt.“ 

Vielleicht wollte ich bloss, dass Du davon mitbekommst, dass was Du schreibst, in Herzen anderer gelangt. Danke. 

Meine Wäsche ist seit einer halben Stunde fertig. Ich bin dann mal in der Waschküche. Zurück in der Realität, bald auf dem Weg zu meinen Freundinnen. Aber mit dem Lächeln dieser Erinnerung an einen leuchtenden Moment.

 

In Liebe zum Schreiben

Lina

 

 

Literatur:

Vom Ende der Einsamkeit, Benedict Wells, Diogenes Verlag, Zürich 2016

Nathalie küsst, David Foenkinos, Ullstein Buchverlage, Berlin 2013